Es gibt Bücher, die zufrieden machen. Die den Kopf, die Gedanken, mit Wärme erfüllen, sie in ruhigen, gleichmäßigen Bahnen laufen lassen und die Hektik der Welt aussperren. Von dem Moment an, in dem man sie aufschlägt. „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ ist eines dieser besonderen Bücher. Die Sprache, in der es geschrieben ist, macht zufrieden. Der Weg der Hauptfigur macht zufrieden und die Botschaften, die das Buch sendet, auch. Dass die Figuren keine einfachen Wege gehen, dass sie im Leben auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, allen voran der farblose Tsukuru Tazaki selbst, macht ebenfalls zufrieden. Denn dadurch werden seine Pilgerjahre zu einer Erlaubnis, nicht perfekt und nicht stark, sondern sogar ausdrücklich schwach zu sein. Eine solche Erlaubnis macht in der Welt, in der wir leben, glücklich, weil sie es Menschen gestattet, anders zu funktionieren als die, die „Großes“ von ihnen erwarten. Das große Wettrennen um den schönsten Schein nicht mitzulaufen, stattdessen sie selbst zu sein und damit wiederum anderen Menschen die Möglichkeit geben, Schwächen einzugestehen und offen mit ihnen umzugehen.
Außerdem handelt Tsukuru Tazakis Geschichte von Freundschaft. Von einer in ihrer besonderen Intensität auch besonders schwierigen Freundschaft. Nicht austauschbar, nicht zu ersetzen. Von Freundschaft, die so tief geht, dass sie eben auch sehr tief verletzen kann. Und von einer anderen Art zwischenmenschlicher Verbundenheit, die, obwohl sie große Wertschätzung und Pflege verdient, Fehler verzeiht. Eine solche Verbindung kann helfen, Schmerz, Verlust und Mutlosigkeit zu überwinden.
„Er begriff endlich in den Tiefen seiner Seele, dass es nicht nur die Harmonie war, die die Herzen der Menschen verband. Viel tiefer war die Verbindung von Wunde zu Wunde. Von Schmerz zu Schmerz. Von Schwäche zu Schwäche. Es gab keine Stille ohne den Schrei des Leides, keine Vergebung, ohne dass Blut floss, und keine Überwindung ohne schmerzhaften Verlust. Sie bildeten das Fundament der wahren Harmonie.“ (Seite 342)
Das Buch erzählt die Geschichte von Tsukuru Tazaki, der im Alter von 36 Jahren nich immer unter einer Verletzung durch seine vier besten Schulfreunde leidet, deren Hintergründe er nie verstehen konnte, die zu verstehen er aber auch nie wirklich versucht hat.
Tsukuru lebt allein in Tokyo. Viele Bekannte hat er nicht, Frauen tauchen immer mal wieder auf, spielen aber nie eine besonders große oder längere Rolle in seinem Leben. Wirklich unglücklich fühlt er sich aber trotzdem nicht, geht als Ingenieur seiner Leidenschaft, dem Bau von Bahnhöfen, nach. Aufgewachsen ist Tsukuru in Nagoya, wo er zu Schulzeiten 4 sehr gute Freunde hatte, zwei Jungen und zwei Mädchen. Die fünf waren unzertrennlich und Tsukuru hat die vier sehr geliebt. Sich selbst nahm er jedoch schon damals als den unwichtigsten Teil der Gruppe wahr.
„Es war wie bei einer zufälligen aber gelungenen chemischen Verbindung.“ (Seite 10)
In jedem seiner Freunde sah er etwas Außergewöhnliches und auch etwas außergewöhnlich Schönes. Auch in seiner Erinnerung an sie tauchen diese Eigenschaften immer wieder auf. Er selbst hingegen kommt sich auch im Erwachsenenalter noch farblos vor, langweilig und unbedeutend. Damit, dass die Namen seiner vier Schulfreunde im Gegensatz zu seinem eigenen alle ein Farbwort beinhalteten, scheint auch das Schicksal ihn in dieser Selbstwahrnehmung zu bestätigen, die nicht richtig zu einem erwachsenen Mann, sondern mehr zu dem geringen Selbstbewusstsein des Schuljungen zu passen scheint, der er in Nagoya gewesen ist.
Der Grund dafür, dass er sich von dem Gefühl, bedeutungslos zu sein, nicht befreien kann, liegt 15 Jahre zurück. Denn kurz nachdem Tsukuru nach Tokyo gezogen war, um ein Ingineurstudium zu beginnen, brachen Kuro (schwarz), Shiro (weiß), Aka (rot) und Ao (blau) plötzlich jeden Kontakt zu ihm ab. Die Freundschaft zu ihnen war wie ausgelöscht und Tsukuru kennt den Grund dafür noch immer nicht. Nach der unerwarteten Verletzung durch seine Freunde hat schnell ein ein großer Schmerz ihren Platz eingenommen, den schließlich eine stille Einsamkeit ersetzt hat. Unter den Nachwirkungen der Geschehnisse leidet Tsukuru noch immer.
Nun, 15 Jahre später, lernt er Sara kennen, eine Frau, im Gespräch mit welcher er plötzlich das Bedürfnis hat, seine Geschichte zu erzählen. Zum ersten Mal seit langer Zeit öffnet er sich und spricht von den vier Menschen, die ihm einmal alles bedeutet und die ihn dann so plötzlich verlassen haben. Sara ist überzeugt davon, dass er die Vergangenheit verstehen lernen und sich den Beweggründen seiner Freunde stellen muss, um endlich das Gute in seinem heutigen Leben sehen zu können.
„Du kannst deine Geschichte weder auslöschen noch rückgängig machen. Denn damit würdest du zugleich dein inneres Wesen töten.“ (Seite 46)
Um ihm zu helfen, Klarheit in die Geschehnisse von damals zu bringen, mit dem Schmerz der Vergangenheit abzuschließen und sein Leben ohne das Gefühl der immer nagenden Ungewissheit weiterleben zu können, schickt sie ihn schließlich auf auf eine Reise, die ihn zurück nach Nagoya, zu seinen Freunden und seinen Dämonen, dann bis nach Europa und schließlich zu sich selbst führt.