Naokos Lächeln — Nur eine Liebesgeschichte ist ein weiteres schönes Buch von Haruki Murakami. Die Formulierung „schönes Buch“ mag platt klingen und so, als hätte ich einfach das erste Adjektiv verwendet, das mir als ein positives in den Kopf gekommen ist. Aber ich benutze diese Formulierung eigentlich ganz bewusst und meine sie genauso, wie ich sie schreibe, weil es tatsächlich ein Buch von großer Schönheit ist. Wie schon „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ und auch Murakamis Autobiografie.
Die Liebesgeschichte, von der im Titel des Buches die Rede ist, spielt im Tokyo der späten 1960er Jahre. Der junge Student Toru Watanabe zieht seines Studiums wegen in die Stadt. Er studiert Theaterwissenschaften, lebt in einem Studentenwohnheim, arbeitet mehrere Abende die Woche in einem Plattenladen und wird Zeuge der Studentenbewegung der 60er Jahre. Toru ist ein Einzelgänger und leidet noch unter dem unerwarteten Selbstmord seines besten Freundes Kizuki vor nicht allzu langer Zeit.
Eines Tages trifft er ein Mädchen wieder, das er aus seiner Heimatstadt und Schulzeit kennt. Naoko, Kizukis Freundin. Kurz nach dessen Beerdigung haben Toru und Naoko sich zuletzt gesehen. Danach verband sie ohne Kizuki nichts mehr, denn zuvor hatten die beiden nie einen wirklichen Draht zueinander gefunden. In Tokyo beginnen sie nun allerdings, viel Zeit miteinander zu verbringen. Beide haben nicht viele enge Freunde. Bald gehen sie sonntags regelmäßig gemeinsam spazieren und nähern sich einander an. Nachdem sie an Naokos zwanzigstem Geburtstag miteinander schlafen, verschwindet Naoko. In Briefen, die sie und Toru im Folgenden austauschen, wird deutlich, dass sie sich aufgrund psychischer Probleme in ärztlicher Behandlung befindet.

Während Naoko in einem abgeschiedenen Sanatorium gesund zu werden versucht, lernt Toru nach einer Vorlesung Midori kennen. Das Mädchen aus „Theatergeschichte 2“ mit den kurzen Haaren, das unerhört kurze Röcke trägt, ist ganz anders als Naoko. Offen und nicht auf den Mund gefallen hat Midori nichts von deren sanfter, schüchterner Zurückhaltung. Mit gewagten Worten und fordernden Neckereien fordert sie Toru auf eine Weise heraus, auf die Naoko nie mit ihm sprechen würde. Toru freundet sich mit Midori an, dabei ist jedoch für beide von Anfang an klar, dass Toru an Naoko gebunden ist und auch Midori einen festen Freund hat. Einmal küssen sie sich, danach treffen sie sich jedoch weiterhin nur als Freunde.
Nach und nach verschlechtert sich Naokos Zustand und Toru ist immer stärker hin und hergerissen zwischen seinem täglichen Leben in Tokyo und Naokos Leben in der Einsamkeit und den Abgründen ihrer Psyche. In den Versuchen, beides zu vereinen, verliert er sich fast und lernt gleichzeitig eine Menge über das Leben und den Tod.
Während Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazakis Schönheit in der Hoffnung liegt, die das Buch mir gegeben hat, verhält es sich bei Naokos Lächeln anders. Das Buch ist schön. Aber zum größten Teil auf eine hoffnungslose, zerreißende Art. Spätestens von dem Moment an, in dem Naoko krank wird. Eigentlich sogar noch viel früher, auf den ersten Seiten, als Toru sich Jahre später an einen Tag erinnert, an dem er und Naoko im Wald spazieren gegangen sind, scheint die Situation der beiden ausweglos. Und auch Midori hat auf mich lange nicht wirklich lebensfroh gewirkt. Pulsierend, ja, vielleicht auch mit dem Potenzial, eines Tages glücklich zu sein. Aber nicht wirklich unbeschwert, nicht wirklich jung. Eher wie jemand, der eigentlich wegen der Erfahrungen, die er bereits früh gemacht hat, im Geiste nicht mehr wirklich jung sein kann, aber dennoch versucht, die verlorene Jugend zu leben oder nachzuholen.

Das Buch ist eben nicht nur eine Liebesgeschichte. Schon ganz zu Beginn wird klar, dass Naoko Toru im Laufe der Geschichte nie wirklich lieben wird, und auf dieses Ziel, diese Erkenntnis bewegt sich die Geschichte zu. Toru selbst scheint nach Kizukis Selbstmord verwirrt. Über den Schmerz, den ihm dieser bereitet hat, schreibt Murakami nur wenig ausdrücklich, aber gerade zu Beginn des Buches wirkt Torus Umgang mit dem Tod seines besten Freundes wie Verdrängung.
Nachdem ich die Buchbesschreibung gelesen hatte, erwartete ich, Midori als Figur oder wenigstens die Rolle, die sie in der Geschichte spielt, nicht zu mögen. Doch dem war nicht so. Mit seiner ganz besonderen, ehrlichen Art, eine Geschichte zu erzählen, hat Murakami es erneut geschafft, mich dunkle und helle Seiten in jeder Figur des Buches zu finden.